Das Tageslicht für den Altarraum fällt durch das einzige Westfenster, das der Kunstmaler Diether Kressel entworfen hat. Bei sommerlicher Abendbeleuchtung kommt es in besonderer Weise zur Geltung, wenn es in seiner Farbenpracht den Altarraum beleuchtet. Es beschreibt in moderner Gestaltung den Lobgesang des Paulus und Silas in der Nacht.
Apostelgeschichte 16,22-32
„Das Volk wandte sich gegen Paulus und Silas; und die Stadtrichter ließen ihnen die Kleider herunterreißen und befahlen, sie mit Stöcken zu schlagen. Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen, und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren.“
Die zentrale Szene, der Wendepunkt in dieser Überlieferung, ist unserem Fenster dargestellt. Im Zentrum des Bildes sehen wir Paulus und Silas im Gefängnis dargestellt, die Füße im Block, inmitten der anderen Gefangenen, auch sie sind an Händen und Füßen gefesselt. Doch anders als diese sehen wir Paulus und Silas knien und beten. Sie sind zwar festgebunden an diesen finsteren Ort, ohne sich fortbewegen zu können, sodass der Aufseher beruhigt einschlafen konnte. Doch nutzen sie ihre einzige Bewegungsmöglichkeit, die darin besteht, den Blick nach oben zu richten, Herz und Hände nach Gott auszustrecken, ihn zu loben und um Hilfe anzurufen. Sie richten sich ganz auf Gott aus und die Verbindung nach oben ist da, der Weg zu Gott ist frei, symbolisiert durch die weiße Taube, das Zeichen für den Heiligen Geist. Von ihr geht das intensive Blau, die Farbe der himmlischen Sphäre aus, die auf das Gewand des Paulus fällt und bis in die Tiefen des Verlieses hinab reicht. Eine farbliche Gegenbewegung beschreibt das Grün, als Zeichen der Hoffnung, das aus den untersten Winkeln wie eine Pflanze empor rankt, die beiden umgibt und sich mit dem Blau vermischt.
Die Gegenwart Gottes und die Hoffnung der Betenden auf ihn verbinden sich zu einer erschütternden Erfahrung, die nicht nur die Mauern des Gefängnisses ins Wanken bringt, sondern auch die Menschen in ihm zutiefst bewegt. Angst und Schrecken offenbaren dem Aufseher seine eigene Dunkelheit, seine Todesnähe, schon will er mit seinem Leben abschließen, als von Paulus der erlösende Zuspruch kommt: Tu dir nichts an, denn wir sind alle hier! Der Aufseher verlangt nach einem Licht, um das Unglaubliche zu sehen: Die Gefangenen sind nicht entflohen, sie haben die Situation nicht ausgenutzt, ihre Flucht hätte seinen Tod bedeutet. Das Licht bringt die lebensrettende Erkenntnis, verbunden mit der Einsicht, das die eigentliche Rettung woanders her kommt: Was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Paulus und Silas verweisen ihn auf ein anderes Licht, das stärker ist als der fahle Schein der Öllampe: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Das „lumen Christi“, das Licht des Auferstandenen, weist ihm den Weg des Glaubens und bringt ihm und seinem Haus die Rettung vom Tod.
Wenn in den späten Nachmittagsstunden die Sonnenstrahlen durch das Fenster scheinen, wird das Leben, das von dieser Szene ausgeht besonders anschaulich: Bunte Lichtreflexe spielen an der Ziegelwand und lassen sie lebendig werden. Sie spielen um das Kreuz und verweisen so auf den, von dem unsere Rettung kommt. Wenn wir an ihn glauben und ihn anbeten, werden wir aus unserm ganz persönlichen Gefängnis erlöst.
(© Text und Fotos: Anne Benz)