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Pfingsten 2025

Liebe Freundinnen und liebe Freunde von St. Peter im Alsterbund,

die Älteren unter uns erinnern sich vermutlich noch an den Kniefall des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt im Dezember 1970 am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos. Das Bild, wie er allein auf dem kalten, regennassen Boden verharrte, ging um die Welt. Brandt sagte später, dass sein Kniefall ganz ungeplant gewesen sei. Umso intensiver war seine Wirkung. Ein Symbol für die Aussöhnung zwischen den Nachbarstaaten Deutschland und Polen.

Kniebeuge und Kniefall sind auch in der Kirche beheimatet und dort vor allem in der römisch-katholischen Tradition verankert. Katholiken beugen das Knie beim Betreten und Verlassen der Kirche auch bei der liturgischen Weihe von Brot und Wein. Ganz anders in den reformierten Kirchen, die sich auf Calvin und Zwingli berufen: Dort ist es durchweg unüblich, zu knien. Lutherisch geprägte Gemeinden nehmen eine Mittelposition ein. Die Gläubigen knien öfters beim Abendmahl, manchmal auch bei der Trauung und Konfirmation.

Manche Menschen in unserer Zeit lehnen es rundweg ab, zu knien. Sie sagen – durchaus mit einem gewissen Recht – dass es beim Beten nicht auf die äußere, sondern allein auf die innere Haltung ankomme. Kniefall im 21. Jahrhundert sei antiquiert, wirke unterwürfig und sei mit den modernen Idealen der Selbstbestimmung unvereinbar. Dem möchte ich widersprechen. Wer im Gebet kniet, gesteht damit ein, dass er oder sie Gott nötig hat und braucht. Die Maske der Souveränität wird abgelegt zugunsten der Gewissheit, in Gottes Hand zu sein. Das entlastet und befreit in einer Welt, in der ständig die Kräfte gemessen werden und sich die Spirale der Gewalt immer weiterdreht. Die Ereignisse der vergangenen Tage haben dies wieder einmal gezeigt.

Gegenwärtig erlebt die Ukraine die größte russische Angriffswelle seit Kriegsbeginn. Gleichzeitig eskaliert die Situation im Gazastreifen. Die Berichte und Bilder sind erschütternd: das Land eine Trümmerwüste, zahllose Tote und Verletzte, zerbombte Häuser, Hunger und Elend, wohin das Auge blickt. Mittlerweile rückt sogar die Bundesregierung von Israels Militäroperation ab und spricht zu Recht von unverhältnismäßiger Gewalt. Aber die politische Führung Israels plant nach eigenen Angaben einen beispiellosen Angriff auf den Süden Gazas. Die Welt braucht mehr Menschen, die auf die Kraft des Glaubens und der Liebe setzen. Menschen, die sich nicht in lärmenden Posen der Macht ergehen, sondern in Demut nach dem Willen Gottes fragen und alles Gute von ihm her erwarten und erhoffen. Die Welt braucht mehr Willy Brandt.

In wenigen Tagen ist Pfingsten, der Geburtstag der Kirche. Sie befindet sich bekanntlich in einer Existenzkrise. Da darf man ihr etwas wünschen. Ich wünsche ihr das, was der Apostel Paulus vor zig Generationen der Gemeinde von Ephesus wünschte: eine Haltung, die zu innerer Stärkung und Kraft durch den Heiligen Geist führt. Eine vor Gott kniende Haltung. Sie hat etwas Stärkendes und Befreiendes. Ich vertraue mich der Macht der Liebe an. Und danach gehe ich weiter: mutiger als zuvor, froher und zuversichtlicher als zuvor, weil mit Christus im Herzen, an dem ich mich immer wieder orientieren und aufrichten kann. Vor Gott gehört eben beides zusammen: gebeugte Knie und aufrechter Gang. Oder mit Apostel Paulus formuliert: Aus der Schwachheit wächst die Kraft. Leben wir weiterhin mit dieser alten und für viele fremden Haltung.

Jens-Uwe Jürgensen

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